Pflanze werden

(schwer)
Wie geht es eigentlich „nach dem Tod“ weiter bzw. welche Eventualitäten sollte man in Betracht ziehen – und wie wären sie zu bewerten? Auf die folgende Idee kommt man nicht so leicht.
Wenn ich auch zur Pflanze würde, wäre denn der Schade so groß?
Hölderlin
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Kommentar

Tatsächlich kann man sich Schlimmeres vorstellen als „zur Pflanze werden“.

Allerdings weiß man ja nichts Näheres. Zur prächtigen Eiche im stillen Wald oder zum Kopfsalat im Gewächshaus? Bei Hölderlin wird aber schnell klar, wofür „zur Pflanze werden“ steht: für kosmische Geborgenheit ...:

„Wenn ich auch zur Pflanze würde, wäre denn der Schade so groß? – Ich werde sein. Wie sollt ich mich verlieren aus der Sphäre des Lebens, worin die ewige Liebe, die allen gemein ist, die Naturen alle zusammenhält? wie sollt ich scheiden aus dem Bunde, der die Wesen alle verknüpft? Der bricht so leicht nicht, wie die losen Bande dieser Zeit. Der ist nicht, wie ein Markttag, wo das Volk zusammenläuft und lärmt und auseinandergeht.“

Dieser letzte Vergleich legt eine bestimmte Interpretation sehr nahe.
Goethezeit

Autor und Werk

Friedrich Hölderlin, 1770-1843. In seinem Briefroman ist die Heldin Diotima Autorin dieses Briefes.
Aus Hyperion.

Lösung

Hölderlin setzt ja hier gewissermaßen die ganze Welt, jedenfalls „dieser Zeit“, also eben seine Welt, dem lärmerfüllten, aber bindungslosen „Markttag“ gleich. Das ist eigentlich nahe am Begriff der „Entfremdung“ im Kapitalismus, wie er später entwickelt wurde. Die Alternative war damals natürlich noch nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern ein sinnerfüllter Liebeskosmos, in den auch die Pflanzen eingeschlossen sind.

Links

Geborgenheit Dieses Eine Niente Speranza

Verben

verlieren zusammenhalten scheiden verknüpfen brechen lärmen
20190316


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